Die Ehrenmitgliedschaft der DGM ist eine Würdigung herausragender Verdienste und ein Zeichen der Anerkennung für Personen, die sich in besonderem Maße für die Gesellschaft und ihre Anliegen eingesetzt haben. Sie symbolisiert den Wert und die Bedeutung der Gemeinschaft, die sich für die Erforschung und Weiterentwicklung der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik einsetzt. Wir freuen uns, Ihnen unser DGM-Ehrenmitglied 2024, Prof. Dr. Michael Hoffmann, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), im Interview vorzustellen.
1. Ihr Engagement in der DGM ist bemerkenswert. Sie waren Vorsitzender des Gemeinschaftsausschusses Hochleistungskeramik und haben sich in zahlreichen weiteren Gremien engagiert. Wie hat dieses umfangreiche Engagement Ihre Sicht auf die Materialwissenschaft und die Bedeutung von Netzwerken in der Forschung geprägt?
Die Materialwissenschaft war schon immer an der Schnittstelle zwischen den Naturwissenschaften und den Ingenieurwissenschaften angesiedelt und erfordert deshalb in hohem Maße Interdisziplinarität. Gerade die DGM-Fachausschüsse und insbesondere die Gemeinschaftsausschüsse mit anderen Fachgesellschaften fördern diese Interdisziplinarität durch persönliche Kontakte und informelle Gespräche, die letztendlich oftmals die Keimzelle für persönliche Netzwerke bilden. Für international anerkannte Spitzenforschung sind diese Netzwerke unersetzlich, da unser individuelles Spezialwissen meist nicht mehr ausreicht, um tiefgründige materialwissenschaftliche Fragestellungen zu klären. Wir brauchen dazu die vertrauensvolle Kooperation mit Kollegen verschiedener Disziplinen. Ein schöner und nicht unerheblicher Effekt ist dabei die eine deutlich weitere Verbreitung der Ergebnisse in der wissenschaftlichen Gemeinschaft.
2. Sie haben auch Studierende des Wirtschaftsingenieurwesens erfolgreich in die Materialkunde eingeführt. Wie haben Sie es geschafft, diese fachfremden Studierenden für Ihr Fachgebiet zu begeistern und sie bis zur Promotion zu begleiten?
Der Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen ist in Karlsruhe überaus erfolgreich mit einer durchschnittlichen Zahl von ca. 600 Studienanfängern. Ich hatte das Glück, dass ich die Studierenden bereits im ersten Semester hatte, so dass sie zunächst in allen Fächern „fachfremd“ waren. Mit vielen praxisnahen Beispielen konnte ich das Interesse zahlreicher Studierenden wecken und ihnen demonstrieren warum es für eine spätere Führungskraft essenziell sein kann materialwissenschaftliche Grundlagen zu beherrschen. Dann gab es innerhalb der Kohorte der Erstsemester immer auch Studierende die realisierten, dass die Materialwissenschaft und Werkstofftechnik „spannender“ ist als die typischen wirtschaftswissenschaftlichen Fächer. Viele von ihnen absolvierten dann ihre Abschlussarbeit an verschiedenen Teilen des Instituts für Angewandte Materialien und manche promovierten eben auch. Leider muss man daraus auch den Schluss ziehen, dass unser Fachgebiet bei vielen Schulabsolventen immer noch relativ unbekannt ist.
3. Ihre Arbeiten zur Energiewende, insbesondere zu Brennstoffzellen und perowskitischen Solarzellen, haben hohe Anerkennung gefunden. Welche technologischen Fortschritte erwarten Sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren in diesen Bereichen?
Im Bereich der Brennstoffzellen haben wir uns lediglich mit kleinen Teilaspekten der Hochtemperaturbrennstoffzelle (SOFC) beschäftigt, der Verbindungstechnik für die Herstellung von Stacks. Die SOFC wird seit vielen Jahrzehnten erforscht und weiterentwickelt, hat aber noch nicht den großen Durchbruch geschafft. Mit dem Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft könnte sich dies jedoch in den nächsten Jahren ändern. Dabei wird insbesondere der umgekehrte Prozess, die Festoxid-Elektrolyse (SOEC) interessant, bei der mit Hilfe von Strom Wasserstoff erzeugt wird. In Kombination mit der Nutzung industrieller Abwärme können hierbei Wirkungsgrade im Bereich von 90% erreicht werden. Die Herausforderung liegt im Up-Scaling der Anlagen.
Bei den Solarzellen wird Silicium nach wie vor das Maß der Dinge sein. Hier werden bei kommerziellen Modulen bereits Wirkungsgrade von 22% erreicht, die schon recht nahe am theoretischen Wirkungsgrad liegen. Der Nachteil der Si-basierten Zellen ist der vergleichsweise hohe Energieaufwand bei der Herstellung monokristalliner Zellen. Die perowskitischen Solarzellen als auch organischen Solarzellen haben wesentlich dünnere Absorberschichten, die sich über sehr kostengünstige Flüssigphasenprozesse abscheiden lassen. Die Langzeitstabilität ist allerdings nicht vergleichbar mit den Si-basierten Zellen. Als Keramiker habe ich deshalb noch die Hoffnung auf die Entdeckung eines stabilen keramischen Absorbermaterials, das sich aus kostengünstigen, weitverbreiteten Rohstoffen herstellen lässt und über eine Flüssigphase appliziert werden kann.
4. Mit einer Karriere, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt und zahlreiche Auszeichnungen umfasst, was sind für Sie persönlich die größten Veränderungen und Entwicklungen in der Materialwissenschaft, die Sie miterlebt haben?
Die größten Veränderungen der letzten vier Jahrzehnte liegen zunächst einmal bei meinen persönlichen Arbeitsschwerpunkten. So begann ich meine wissenschaftliche Karriere bei Prof. Petzow am MPI in Stuttgart mit der Erforschung von Strukturkeramiken, danach beschäftigte ich mich zunehmend mit Funktionskeramiken mit einem Schwerpunkt auf Ferroelektrika und endete bei keramischen Solarzellen. Dabei entstanden zahlreiche Möglichkeiten zur interdisziplinären Zusammenarbeit, insbesondere im Bereich der Materialcharakterisierung. Hier sehe ich auch die bedeutendsten Entwicklungen in der Materialwissenschaft. Unabhängig vom Material konnten wir Mitte der 80er Jahre nur darüber spekulieren, wie denn eine Korngrenze im Detail aufgebaut ist; heute können wir einzelne Atomreihen sehen und identifizieren. Mit spektroskopischen Methoden lassen sich mit hoher Ortsauflösung kleinste Segregation oder Verunreinigungen nachweisen. Dies gilt auch für die Charakterisierung von physikalischen Materialeigenschaften, wie beispielsweise lokale Leitfähigkeiten einer individuellen Korngrenze. Eine weitere Entwicklung, die enorm zum tiefgreifenden Verständnis von Materialien beigetragen hat, sind die vielfältigen Modellierungswerkzeuge auf verschiedenen Längenskalen als auch skalenübergreifend. Damit wurde letztendlich auch das Rennen um die „theoretische“ Materialentwicklung eröffnet. KI-basierte Methoden werden uns sicherlich in naher Zukunft noch sehr viel mehr Fortschritte ermöglichen.