DGM-Tag 2024: Die Preistragenden stellen sich vor – DGM-Pionier – Dr.-Ing. Anja Weidner

Der DGM-Pionier ist eine Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde (DGM), mit der besondere Leistungen und Verdienste eines DGM-Mitglieds im Bereich der nachhaltigen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie gewürdigt werden. Lesen Sie im Interview, wer Pionierarbeit in der wissenschaftlichen Vernetzung und der modernen Zusammenarbeit von akademischer und industrieller Forschung leistet.

Seit 2014 zeichnet die DGM mit dem DGM-Pionier die persönlichen Mitglieder unser Fachverbandes aus, die mit ihrem Engagement zum Vorreiter der wissenschaftlichen Vernetzung und der modernen Kooperation von akademischer und industrieller Forschung geworden sind. Wir gratulieren herzlich PD Dr.-Ing. Anja Weidner, Institut für Werkstofftechnik, Technische Universität Bergakademie Freiberg, zum DGM-Pionier 2024.

1) Frau Dr. Weidner, was bedeutet Ihnen die Verleihung des DGM-Pionier-Preises und wie hat Ihr stetes Engagement in der DGM-Gemeinschaft der vergangenen 15 Jahre Ihren Weg von einer Nachwuchswissenschaftlerin hin zu einer national und international anerkannten Expertin geprägt? 

Ich bin sehr überrascht und erfreut über die Verleihung des DGM-Pionier-Preises. Ich möchte mich ganz herzlich für die Nominierung und das Votum des Preiskuratoriums sowie die Unterstützung des DGM-Beirates und des Vorstandes bedanken. Die Würdigung meiner bisherigen wissenschaftlichen Leistungen im Bereich der in situ Charakterisierung und Prüfung zur Klärung praktischer Fragestellungen der Werkstofftechnik mit dem DGM-Pionier ist für mich eine große Ehre und Auszeichnung. Sie bedeutet mir sehr viel. Sie zeigt mir, dass es sich lohnt, seine Ziele konsequent und beharrlich zu verfolgen. Gleichzeitig möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei meinen Wegbegleitern, Mentoren, Kolleginnen und Kollegen, Doktorandinnen und Doktoranden sowie den Mitgliedern des DGM/DVM Arbeitskreises „In situ 2D und 3D Charakterisierung“ auf das herzlichste zu bedanken, ohne deren Unterstützung und Mitwirkung dieser Weg so nicht möglich gewesen wäre. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch die DGM-Gemeinschaft, die ich in den zurückliegenden 15 Jahren als eine ideale Plattform zum Netzwerken und zum Erfahrungsaustausch mit nationalen und internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kennen- und schätzenlernen konnte sei es auf Tagungen, bei Weiterbildungen oder in den verschiedenen Arbeitskreisen. Besonders hervorheben möchte ich, dass die DGM in diesen letzten 15 Jahren dabei deutlich jünger und weiblicher geworden ist, was die Attraktivität für den Nachwuchs im Bereich der Materialwissenschaften und Werkstofftechnik wesentlich erhöht hat.

2) Ihre Forschung im Bereich der mikrostrukturellen Erklärung mechanischer Werkstoffeigenschaften hat beeindruckende Ergebnisse erzielt. Was hat Ihr Interesse an diesem spezifischen Forschungsthema geweckt und welche wesentlichen Herausforderungen haben Sie dabei gemeistert? 

Bereits im Studium und während der Promotion am Institut für Werkstoffwissenschaft der Technischen Universität Bergakademie Freiberg bestand meinerseits ein sehr großes Interesse an den vielfältigen Methoden zur Untersuchung der Mikrostruktur von metallischen Werkstoffen nach unterschiedlichen Herstellungs- und Bearbeitungsprozessen sowie deren Einfluss auf die mechanischen Werkstoffeigenschaften. So ging es in der Promotion z.B. zunächst um die Charakterisierung von Textur und Mikrostruktur mittels Röntgenbeugungsanalyse an verschiedenen Modellwerkstoffen nach der plastischen Umformung durch Kaltwalzen. Einen ersten Kontakt zu in situ Untersuchungen bekam ich am Institut für Strukturphysik der Technischen Universität Dresden, wo ich mich nach meiner Promotion ab 1998 mit der zyklischen Aktivität von persistenten Gleitbändern in Rein-Nickel bzw. dem Wachstum mikrostrukturell kurzer Risse in austenitischen Stählen beschäftigt habe und dazu in situ Ermüdungsversuche im Rasterelektronenmikroskop durchführte. Ab 2009 eröffnete sich die Gelegenheit das Thema der in situ Charakterisierung und Prüfung im Rahmen des SFB 799 „TRIP-Matrix Composite“ als Projektleiterin des gleichnamigen Teilprojektes anhand von austenitischen Stählen mit TRIP- und TWIP Effekt zu vertiefen. Hier ergab sich die Herausforderung, dass die in situ Untersuchungen im Rasterelektronenmikroskop mittels der digitalen Bildkorrelation begleitet werden sollten, um Dehnungslokalisationen in Verformungsbändern und/oder mechanischen Zwillingen bzw. auch in verformungs-induziert gebildeten Martensit-Körnern zu bestimmen. Die Schwierigkeiten lagen dabei zum einen in der Anwendung einer geeigneten Kontrastierungsmethode der Probe für die digitale Bildkorrelation und zum anderen in der Kleinheit der zu analysierenden Objekte, die im Bereich weniger Mikrometer lag. Schlussendlich ist es gelungen, durch die Anwendung einer alten Technik – dem Ätzen – so feine Oberflächenstrukturen im Nanometerbereich zu erzielen, die die Bestimmung lokaler Dehnungsfelder im Submikrometerbereich ermöglichte. Eine weitere Herausforderung für mich ganz persönlich war seit 2009 die Anwendung der Messung und Auswertung von Schallemissionssignalen zur Charakterisierung des zeitlichen Ablaufes verschiedener Verformungsmechanismen in den zuvor genannten Werkstoffen. Hierbei erhielt ich besonders große Unterstützung durch Prof. Alexei Vinogradov, mit dem mich seither nicht nur ein wissenschaftliches Band sondern auch eine enge Freundschaft verbindet.

3) Sie haben den DGM/DVM-Arbeitskreis „In situ 2D und 3D Charakterisierung“ aufgebaut und leiten ihn seit etwa 10 Jahren. Welche Ansätze und Methoden haben Sie entwickelt, um diesen Arbeitskreis erfolgreich zu führen und weiterzuentwickeln? 

Die Gründungsveranstaltung zum DGM/DVM Arbeitskreis „In situ 2D und 3D Charakterisierung fand im November 2013 in Berlin an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung statt. Initiator der Idee für diesen Arbeitskreis, der als dritte Säule neben den Arbeitskreisen „EBSD“ (Dr. Gert Nolze) und „Bruchflächenanalyse“ (Dr. Dirk Bettge) den Gemeinschaftsausschuss „Rasterelektronenmikroskopie“ stärken sollte, war Prof. Pedro Portella. Ich weiß noch, wie positiv überrascht ich damals von der Resonanz der Einladung zur Gründungsveranstaltung war, der über 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Regionen der Bundesrepublik gefolgt waren. Zu den Gründungsteilnehmern gehörten neben Vertretern der Universitäten und Hochschulen auch Gerätehersteller für Rasterelektronenmikroskope, in situ Prüfeinrichtungen bis hin zu Softwareentwicklern z.B. für die digitale Bildkorrelation. Ein Großteil der Teilnehmer der Gründungsveranstaltung ist dem Arbeitskreis bis heute treu geblieben. Und so haben wir auch die Durststrecke der Corona-Jahre überwunden und sind wieder bei 30 bis 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den 1,5-tägigen Veranstaltungen, die einmal jährlich an unterschiedlichen Standorten stattfinden. Ein wichtiges Anliegen in den letzten 10 Jahren war es für mich immer, die Brücke zwischen den Anwendern der in situ Prüfungs- und Charakterisierungsmethoden und den Firmen bzw. Geräteherstellern zu schlagen. Im Fokus standen daher weniger die eigentlichen Forschungsergebnisse, sondern vielmehr die Herausforderungen, die sich bei den einzelnen in situ Experimenten mit Blick auf die angewandte Gerätetechnik oder die Durchführbarkeit der einzelnen Versuche ergaben. So ist zum Beispiel aus dem Arbeitskreis heraus eine enge Zusammenarbeit zwischen der Firma Kammrath&Weiss, die Verformungsmodule für die in situ Prüfung u.a. im Rasterelektronenmikroskop herstellt, und der Firma Chemnitzer Werkzeugmechanik GmbH, die wiederum ein Softwareentwickler für das Verfahren der digitalen Bildkorrelation ist, entstanden. Im Ergebnis dieser intensiven Zusammenarbeit wurde ein auf das in situ Zug-/Druck-Verformungsmodul abgestimmtes Videoextensometer, dass auf der Basis der digitalen Bildkorrelation die Dehnung direkt an der Probe misst, entwickelt.

4) Welche Ratschläge würden Sie anderen Wissenschaftlerinnen geben, die eine ähnliche Karriere im Bereich der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik anstreben?

Jungen Wissenschaftlerinnen möchte ich mit auf den Weg geben, dass sich Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit auszahlen, auch wenn der Weg manchmal steinig und beschwerlich erscheint. Insbesondere möchte ich Mut machen, dass mit den heute zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Instrumenten eine Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Karriereentwicklung gut möglich ist. Wichtig für die eigene Karriereentwicklung ist aber auch die Unterstützung durch gute Mentoren/Mentorinnen. Ich hatte das Glück, in den zurückliegenden 30 Jahren nach Beendigung meines Studiums eine Handvoll solcher Menschen in meiner Nähe gehabt zu haben bzw. noch zu haben. Ich habe davon sehr profitiert, u.a. weil sie mich auch angespornt und ermutigt haben, neue Wege zu gehen, neue Dinge auszuprobieren und Herausforderungen anzunehmen. 

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