Trauer um Prof. Dr. Volkmar Gerold: Ein herausragender Metallphysiker und engagierter Wissenschaftler

Am 22. Mai 2023 starb Prof. Dr. Volkmar Gerold nach einem erfüllten Leben, nachdem er im Jahr zuvor sein hundertstes Lebensjahr vollendet hatte. Er blieb seit Beginn seines Studiums im Jahr 1946 seiner Wahlheimat Stuttgart treu, wo er ordentlicher Professor für Metallkunde/Metallphysik und Direktor und Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Metallforschung war. Mit seinen richtungsweisenden Arbeiten zu Grundlagen der Metallphysik zählt er zu den herausragenden Vertretern seines Fachs in Deutschland.

Am 23. August 1922 in Hermsdorf in Thüringen geboren, ist Volkmar Gerold in Dortmund aufgewachsen. Seine Jugend war von Kriegszeiten geprägt: Notabitur, Wehrmacht und Kriegsdienst. Nach Kriegsende begann Volkmar Gerold eine Lehre in der Landwirtschaft in Westfalen, entschied sich aber schließlich 1946 zu einem Physikstudium an der Technischen Hochschule in Stuttgart. Voraussetzung für die Aufnahme war die Mitwirkung an der Aufbauarbeit nach der weitgehenden Zerstörung der Innenstadt: noch viele Jahre später konnte man aus seinem Munde hören, wie er am Wiederaufbau des Institutsgebäudes in der Seestraße mitwirkte – es sollte später über mehr als drei Jahrzehnte seine eigene wissenschaftliche Wirkungsstätte werden.

Die Diplom- und die Doktorarbeit führte er im „Röntgeninstitut“ bei Richard Glocker, einem der letzten Schüler von Röntgen, durch. In seiner Promotionsarbeit über Struktur und Eigenschaften im Legierungssystem Al-Cu gelang ihm die Aufklärung der G.P.I-Zonen mittels Röntgen-, Neutronen- und Elektronenbeugungsexperimenten. Er schlug Strukturmodelle für die verschiedenen metastabilen Zustände vor, die noch heute beispielgebend für moderne komplexe Legierungssysteme sind. 1958 habilitierte er sich im noch jungen Fach Metallphysik mit einer Arbeit über röntgenographische Untersuchungen von Gitterstörungen in Mischkristallen; darin gelang ihm die Ermittlung der Löslichkeitsgrenzen von metastabilen Zweitphasen.

Aufgrund seiner Pionierarbeiten in jungen Jahren errang Volkmar Gerold bald weitreichende internationale Reputation. Er nahm 1962/63 eine Einladung als Gastprofessor der University of Florida in Gainesville an, 1975 folgte ein weiterer Aufenthalt am Argonne National Laboratory. Aus dieser Zeit stammen seine engen wissenschaftlichen Kontakte zu Rolf Hummel (University of Florida), Morris Fine (Northwestern University) oder Ed Starke (University of Virginia). Nach seiner Rückkehr wurde Volkmar Gerold an die Technische Hochschule Stuttgart und 1966 als Wissenschaftliches Mitglied an das Max-Planck-Institut für Metallforschung berufen. 1968 erfolgte seine Berufung als ordentlicher Professor auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Metallkunde/Metallphysik der Universität. Von 1980 bis 1984 war er Dekan bzw. Prodekan der Fakultät für Chemie, zu der der in enger Wechselwirkung mit dem MPI betriebene Studiengang Metallkunde an der Universität Stuttgart gehörte. Seine wissenschaftlichen Arbeiten trugen ganz wesentlich zum weltweiten Ansehen der Stuttgarter Materialforschung bei. Als Hochschullehrer konnte er durch seine herzerfrischende Art Generationen von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begeistern; zahlreiche unter ihnen haben ihren Weg in leitende Funktionen der Wissenschaft und Wirtschaft gefunden. Im Jahr 1990 wurde Volkmar Gerold emeritiert.

Der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde war Volkmar Gerold viele Jahre eng verbunden: 1962 mit dem Masing-Gedächtnispreis ausgezeichnet, wirkte er später (von 1968 bis 1971) als Vorstandsmitglied. In Anerkennung seiner Verdienste hat ihm die DGM 1992 die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Auch in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft war Volkmar Gerold aktiv; man konnte ihn regelmäßig auf den Frühjahrstagungen zur Metallphysik treffen. Wie kaum ein anderer hat sich Volkmar Gerold mit seiner Arbeitsgruppe eingehend, tiefschürfend und auf elegante Weise mit den physikalischen Grundlagen der Legierungsentmischung, der Verfestigung durch Zweitphasen und dem Gleitcharakter zweiphasiger Legierungen befasst. Viele neue Themen kamen in den Siebziger und Achtziger Jahren dazu: Defekte in geordneten Phasen, Ermüdungsrissausbreitung in Legierungen und keramischen Werkstoffen, Hochtemperaturkriechen und thermisch-mechanische Ermüdung, und mechanische Eigenschaften von metallischen und keramischen Verbundwerkstoffen.

Als sein Nachfolger am MPI und an der Universität Stuttgart und als einer seiner letzten Doktoranden haben wir Volkmar Gerold erst in seinem siebten Lebensjahrzent näher kennengelernt. Er war eine äußerst integre und sehr sympathische Persönlichkeit, die Enthusiasmus und menschliche Wärme ausstrahlte. Volkmar Gerold war ein interessanter Gesprächspartner und ein vielseitig interessierter Mensch, der insbesondere gesellschaftlichen Entwicklungen eine hohe Aufmerksamkeit schenkte. Nach seiner Emeritierung wollte er, der auch die Begrenztheit der wissenschaftlichen Tätigkeit sah, etwas „zurückgeben“: er betätigte sich aktiv im Jugendaustausch mit der Ukraine im Nachgang zum Reaktorunglück von Tschernobyl. Die Entwicklungen der letzten Jahre müssen ihn besonders geschmerzt haben. 

Volkmar Gerold ist nach einem ereignisreichen und erfüllten Leben von uns gegangen. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

Eduard Arzt, San Diego und Saarbrücken
Alexander Wanner, Karlsruhe

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