von Prof. Dr. Andreas Neidel
Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Fachkolleginnen und -kollegen!
Eine Laudatio auf Michael Pohl zu halten, Senior-Professor an der Ruhr-Universität Bochum, ist eine wahrhaft herkulische Aufgabe. Der Laudator hat einige Bedenken, diesem Vorhaben gewachsen zu sein und deshalb beschlossen, auf die übliche Auflistung der unzähligen Meriten des Geehrten weitgehend zu verzichten und stattdessen zwei Themen in den Vordergrund zu stellen, von denen der Laudator persönlich betroffen war und ist und nachhaltig profitiert hat: zum einen Prof. Pohls Rolle bei der Vereinigung des Metallographie-Ausschusses der ehemaligen Kammer der Technik der DDR mit dem damaligen Fachausschuss Metallographie der DGM und zum anderen sein vorbildliches Engagement für die außeruniversitäre Lehre in unserem gemeinsamen Fachgebiet, der werkstofftechnischen Bauteilschadenskunde.
Zunächst sei daran erinnert, dass sich Prof. Pohls Verbindungen zu unserem Fachverband, der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde, ähnlich allmählich entwickelten wie bei vielen von uns. Man engagiert sich hie und da, besucht Tagungen, fällt als Vortragender auf, schließt sich Fachgremien an und wird schließlich von den Kolleginnen und Kollegen in verantwortungsvolle Positionen gewählt. Beim Laureaten begann dieser Prozess mit seiner Promotionszeit an einem der damals modernsten Elektronenmikroskopie-Laboratorien Deutschlands, angeschlossen an die größte Technische Universität Europas, die RWTH Aachen. Dort wollte er eigentlich "nur mal eben schnell" promovieren, stieg aber bald zum Vizechef auf und diente diesem Institut immerhin 15 Jahre lang. In dieser Zeit konnte er über die modernsten damaligen Elektronenmikroskope verfügen, die oft die ersten ihrer Art waren, wie das legendäre ÜM1, das Übermikroskop, wie früher die Transmissionselektronenmikroskope (TEM) manchmal genannt wurden. Da auch eine Reihe der ersten Rasterelektronenmikroskope (REM) an diesem Institut versammelt waren, war diese seine erste berufliche Station auch eine wichtige Weichenstellung zu seinem späteren Fachgebiet i.e.S., der Bauteilschadenskunde. Die REM haben jene Disziplin, deren Kern die Bruchflächenanalyse ist, revolutioniert. Genau diesen Prozess hat Prof. Pohl am Institut für Elektronenmikroskopie in Aachen maßgeblich begleiten können. In jenen frühen Berufsjahren hatte der Geehrte damit Gelegenheit, gemeinsam mit den anderen REM-Pionieren die Fraktographie teilweise neu zu schreiben. Kaum einer der heutigen Schadenskundler weiß noch, dass es kein anderer als Prof. Pohl war, der erstmals die Chromverarmung unmittelbar neben den Korngrenzen sensibilisierter hochlegierter rostfreier Chromstähle mittels energiedispersiver Röntgenspektrometrie im TEM messen konnte, indem er "der Wechselwirkungsbirne den Hals abgeschnitten" hat.
In jenen frühen Berufsjahren ergaben sich auch Michael Pohls Kontakte zur DGM, dies vor allem über seine ersten Fortbildungsveranstaltungen, die u.a. auf dem am Institut für Elektronenmikroskopie Gelernten basierten. Später erfolgte dann der Ruf an den Bochumer Lehrstuhl. In die Vorwendejahre fällt eine besondere Konstellation, die der Laudator als einen der größten Glücksfälle der DGM-Geschichte ansieht. Michael Pohl wurde von seinen Kolleginnen und Kollegen zum Leiter des Fachausschusses Metallographie der DGM gewählt und zweimal wiedergewählt, so dass er dieses Amt in den so entscheidenden Wendejahren von 1988 - 1994 bekleidete, in einer der längsten Amtszeiten der Fachausschussvorsitzenden. Die beiden damals zusammenwachsenden Teile Deutschlands zu integrieren hieß eben auch die verschiedenen Gremien des Fachgebietes Metallographie zu verschmelzen. Dies erforderte jemanden mit Durchsetzungsvermögen, mit Biss, ja, mit "breitem Kreuz". Unvergessen die Episode, wie Michael Pohl in seiner Eigenschaft als FA-Vorsitzender Metallographie der DGM sich zu einer Sitzung des Metallographie-Ausschusses der damaligen Kammer der Technik (KdT) der DDR selbst einlud. Wenig überraschend war die Stimmung gedrückt. Mit sicherem Gespür für die Situation gelang es Prof. Pohl, recht geräuschlos den Zusammenschluss von Metallographie- Ausschuss der KdT (der immerhin 10 Jahre älter war als unser eigener FA) und FA Metallographie der DGM herbeizuführen, so dass es fortan keine zwei Gremien mit gleichen Arbeitsinhalten mehr gab. Die Generation des Laudators, die noch als Student Mitglied der KdT werden musste, was in der ehemaligen DDR für alle Technikstudenten obligat war, diese Generation, die ihr Berufsleben mit der Wende begann, hat von diesem frühen Zusammenschluss unmittelbar nach der Wende am meisten profitiert. Dieser Glücksfall der Geschichte ist vor allem dem entschlossenen politischen und fachlichen Management der damals schwierigen Situation durch den DGM-Pionier 2020 zu danken, Prof. Michael Pohl.
Das Engagement des Laureaten auf dem Gebiet der Aus- und Weiterbildung ist wie kein anderes geeignet, zu zeigen, warum es keinen würdigeren Träger des diesjährigen Preises "DGM-Pionier" geben könnte. Selbst ein überfleißiger Hochschullehrer wie Michael Pohl kann nur eine begrenzte Anzahl von Studierenden ausbilden. Viele Fachkollegen hatten nicht das Glück, bei Prof. Pohl zu studieren. Der Laudator ist einer von ihnen. Oft hat letzterer dem Preisträger versichert, dass das meiste, was vielen Schadenskundlern, die nicht am Lehrstuhl des Geehrten studiert haben, an Wissen für die Erledigung ihres Tagesgeschäftes zur Verfügung steht, seinen Ursprung in den zahlreichen Weiterbildungsveranstaltungen hat, die unser diesjähriger DGM-Pionier immer noch verantwortet. Prof. Michael Pohl konnte deshalb weit über seinen Bochumer Lehrstuhl hinaus Wirkung entfalten und ganze Generationen von Schadenskundlern und anderen Fachleuten fachlich prägen. Es bedarf keiner anderthalbstündigen Vorlesung, ein Vortrag oder Diskussionsbeitrag auf einer Fachtagung reichen völlig aus, um die rhetorische Brillanz und das enzyklopädische Wissen des Geehrten aufblitzen zu lassen. Prof. Pohl ist gesuchter Ratgeber in seinen zahlreichen Fachgebieten, immer für Ratsuchende ansprechbar, verbindlich im Ton. Niemals lässt er die Gesprächspartner seine fachliche Überlegenheit spüren, obwohl er oft genug Anlass dazu hätte, wie seine Schüler und Kollegen zu berichten wissen.
Der Umfang des Engagements des diesjährigen "DGM-Pioniers" für unsere Fachgesellschaft sei anhand des legendären Schadenskundeseminars im schweizerischen Ermatingen beispielhaft verdeutlicht. Dieses aus vielerlei Hinsicht beste deutschsprachige Weiterbildungsseminar auf dem Markt im Bereich Schadenskunde hat bisher 52 Mal stattgefunden. Allein für dieses eine DGM-Seminar, das ja nur die Spitze des Eisbergs seines außeruniversitären Engagements ist, hat Michael Pohl unserer Fachgesellschaft ein volles Jahr seiner Lebensarbeitszeit gewidmet. Wer von uns Ehrenamtlichen könnte von sich behaupten, ein ähnlich hohes Pensum für die DGM geleistet zu haben. Wenn das kein Grund zur Verleihung des Preises "DGM-Pionier" ist!
Lieber Prof. Michael Pohl, ich gratuliere herzlich zur Verleihung des Preises "DGM-Pionier 2020"!
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