DGM-Ehrenmitglied Prof. Dr.-Ing. Günter Lange verstorben (1936-2012)

Am Samstag, den 1. Dezember 2012, verstarb Professor Dr.-Ing. Günter Lange im Alter von 76 Jahren. Damit verliert die Technische Universität Braunschweig einen renommierten Hochschullehrer, Fachkollegen- und Freundeskreis verlieren einen hochgeschätzten Ratgeber und die Familie ihr fürsorgliches Oberhaupt. Die Traueranzeige trägt die Überschrift „Nur wer ihn kannte wird ermessen, wen wir verloren haben“.

Günter Lange wurde am 26. Juli 1936 in Rostock in schwierigen Zeiten geboren, verlebte seine Jugend in der Kriegs- und Nachkriegszeit und begann 1955 an der Technischen Universität Braunschweig mit dem Studium des Maschinenbaus, das er 1961 mit der durch den Hochschulpreis ausgezeichneten Diplomarbeit „Entspannungsversuche mit Hilfe von Torsionsproben“ abschloss. 1965 promovierte er bei Wilhelm Hofmann über den „Zusammenhang zwischen Wasserstoffaufnahme und Porosität des Eisens“, einen Themenkomplex, der ihn lebenslang faszinierte, und in dem er wie kein anderer wissenschaftliche Grundlagen mit den Anforderungen der technischen Anwendung verband. 1971 habilitierte er mit dem Thema „Der Wärmehaushalt beim Strangpressen“. Seit 1974 vertrat er als Universitätsprofessor an der Technischen Universität Braunschweig die „Angewandte Werkstoffkunde und Schadensanalyse“.

Die wissenschaftlichen Arbeiten Günter Langes erstreckten sich von subtilen metallkundlichen Untersuchungen bis zu speziellen Fragestellungen der Bauteilbeanspruchung. Seine besondere Leidenschaft galt den Bruchmechanismen  und der Schadensanalyse. Über zehn Jahre hat er den Arbeitskreis „Fließspannung und Festigkeit“ der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde geleitet und sich in dieser Zeit besonders den Entwicklungsphasen des Gleitbruchs von den ersten Fließvorgängen bis zu den verschiedenen Erscheinungsformen des Wabenbruchs gewidmet. Es ist sicherlich nicht übertrieben zu sagen, dass das heutige Verständnis dieser Bruchart im Wechselspiel mit Werkstoffbeanspruchung und -gefüge wesentlich von ihm mitgeprägt wurde. 

Auch galt sein Interesse dem Schwingbruch, den er in seiner humorvollen Art gerne als die „Rache der leblosen Materie am Ingenieur“ bezeichnete, weil häufig das Zuwiderhandeln gegen durchaus bekannte, wenn auch vielfältige Regeln die Dauerfestigkeit von Komponenten unterläuft. Sein besonderes Verdienst ist es, dass er sich nicht zu schade war, diese scheinbar einfachen Zusammenhänge unermüdlich zu erklären und mit seinem unerschöpflichen Fundus an Beispielen beizutragen, weiteres Unheil durch hartnäckiges Nichtbeachten elementarer Regeln zu verhindern. Seine besondere Begabung, Kompliziertes anschaulich zu vermitteln und mit Fallbeispielen zu garnieren, bereitete auch den Studierenden seiner Alma Mater den Weg und führte regelmäßig zu überlaufenen Vorlesungen.  

Günter Lange ist es zudem großenteils zu verdanken, dass die Schadensanalyse eine durchgängige Systematik bekam, nicht zuletzt durch das 1982 gegründete einwöchige Intensiv-Seminar „Systematische Beurteilung technischer Schadensfälle“.

Heute ist ein solcher Seminarumfang völlig unüblich; da das Seminar aber stets überbucht war, ergab sich kein Anlass zur Änderung. Zusammen mit dem komplementären „Hochschulpraktikum Schadensanalyse“ hatten weit mehr als 2.000 Techniker und Ingenieure Gelegenheit, das systematische Vorgehen zu lernen und sich eine Fülle von Schadensmechanismen einzuprägen. Zu den Beispielen gehörten auch praktisch alle Technik-Havarien der Neuzeit (Estonia, Eschede, Implantate, Luftverkehrsereignisse).

Die Leistungen von Günter Lange in Wissenschaft und Technik wurden vielfach gewürdigt. Für die Untersuchung von mehr als 300 Flugunfällen während etwa fünfzigjähriger Gutachtertätigkeit für das Luftfahrt-Bundesamt wurde ihm 1991 das „Bundesverdienstkreuz am Bande in Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste“ verliehen. Für sein wissenschaftliches Oeuvre erhielt er 1997 die Tammann-Gedenkmünze der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde und wurde 2004 zum Ehrenmitglied ernannt.

Günter Lange war über Jahrzehnte in herausragender Weise das ingenieurwissenschaftliche Bindeglied zwischen der Werkstoffwissenschaft und der technischen Schadensanalyse. Er hat mit über 100 Veröffentlichungen, fast 400 Vorträgen, ungezählten Vorlesungen und Seminaren in der Scientific Community Spuren hinterlassen. Wer jemals einen seiner lebhaften, mit feinem Humor gewürzten Vorträge gehört hat, in denen mit exzellentem Bildmaterial komplexe Sachverhalte erschlossen wurden, versteht die zahlreichen Einladungen aus dem In- und Ausland.

Seine integre Persönlichkeit, seine Warmherzigkeit und Bescheidenheit, gepaart mit Objektivität und Kompetenz, verschafften ihm Anerkennung und Wertschätzung bei seinen Hochschulkollegen, Mitarbeitern und Studenten sowie bei allen Fachkollegen aus der Industrie und den Fachverbänden. Seine Begeisterung für die Schadenskunde war mitreißend und begleitete ihn bis zu seinen letzten Tagen.

Seiner Krankheit, mit der er sich über vier Jahre auseinandersetzen musste, ließ er wenig Raum. Wir verlieren einen guten Freund, einen zugewandten Ratgeber und einen kompetenten Fachmann, den wir noch oft vermissen werden.

Joachim Rösler, Braunschweig, und Michael Pohl, Bochum

 

 

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