Birgit Skrotzki, die an der BAM den Fachbereich Experimentelle und modellbasierte Werkstoffmechanik leitet, tritt ihr Amt, das sie sich mit Prof. Dr. Martin Heilmaier vom Karlsruher Institut für Technologie teilt, zum Januar 2023 an.
Die DGM ist eine traditionsreiche Vereinigung mit über 100-jähriger Geschichte. Welche Herausforderungen stellen sich für die Materialwissenschaft und Werkstofftechnik zu Beginn des 21. Jahrhunderts?
Wir müssen nachhaltiger werden. Hierzu zählt das Recycling von Werkstoffen und Materialien am Ende des Produktlebenszyklus, z.B. von mobilen elektronischen Geräten wie Smartphones, von Autos oder selbst den Rotorblättern von Windrädern. Generell müssen wir Rohstoffe und Ressourcen bestmöglich nutzen, insbesondere da viele von ihnen knapp sind, einschließlich übrigens der Energie, wie wir aktuell schmerzlich erleben. Die Verfügbarkeit kritischer Rohstoffe und die Kreislauffähigkeit von Materialien und Produkten sollten wir zukünftig noch viel stärker und bereits im Materialentwicklungsprozess berücksichtigen. Die DGM greift diese Themen heute schon auf, z.B. mit dem 2021 gegründeten Fachausschuss Circular Materials.
Was kann die Materialwissenschaft zu großen gesellschaftlichen Aufgaben wie der Transformation zur Klimaneutralität beitragen?
Die Materialwissenschaft ist ein wichtiger Schlüssel zur Entwicklung moderner Technologien, die wir dringend benötigen, um die großen, gesellschaftlichen Zukunftsaufgaben zu lösen. Denken Sie z.B. an den Megatrend elektrische Mobilität: Hierfür brauchen wir neue, verbesserte Batteriematerialien. Und auch Leichtbauwerkstoffe. Z.B. in Form von Leichtmetallen und Verbundwerkstoffen, die eine hohe Festigkeit und gleichzeitig geringe Dichte besitzen, um so das hohe Gewicht von Batterien ausgleichen zu können. Damit können wir kostbare, für die Fortbewegung benötigte Energie einsparen. Auch bei der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien wie Wind oder Sonne sind noch Werkstoffprobleme zu lösen. Hier geht es nicht nur um neue Materialien, sondern auch um die Verlängerung der Lebensdauer der Anlagen – womit wir wieder beim Thema Nachhaltigkeit sind. Und schließlich stellt die verstärkte Nutzung von Wasserstoff neue Anforderungen an Materialien und Werkstoffe, die es zu untersuchen und zu bewerten gilt.
Sie selbst engagieren sich bei der Plattform MaterialDigital, zu der sich neben der BAM führende wissenschaftliche Einrichtungen in dem Bereich zusammengeschlossen haben. Welchen konkreten Nutzen hat die Digitalisierung für die Materialwissenschaft?
Unser grundlegendes Ziel ist, Werkstoffdaten in einer optimal dokumentierten Form in möglichst großer Anzahl und leicht erreichbar verfügbar zu machen, um sie in neuen digitalen Labor- und Industrieprozessen schnell und effektiv nutzen zu können. Dies umfasst den gesamten Lebenszyklus eines Werkstoffs bzw. Bauteils einschließlich der Prozesskette. Um von den derzeit überwiegend existierenden Insellösungen wegzukommen, werden in verschiedenen aktuellen Forschungsinitiativen Datenraumkonzepte entwickelt, die einen Datenaustausch ermöglichen und dennoch die Datensouveränität der Beteiligten sicherstellen. Dies wird in Zukunft gewiss zu einer Beschleunigung der Materialentwicklung, einer Senkung der Entwicklungskosten, einer bessere Materialausnutzung und einer höheren Nutzbarkeit der Komponenten führen.
Gibt es ein Thema, das Ihnen für Ihre Präsidentschaft besonders wichtig ist?
Neben der strategischen Weiterentwicklung der DGM ist mir die Nachwuchsförderung ein wichtiges Anliegen. Die DGM muss einerseits für den Nachwuchs attraktiv bleiben und vielleicht noch attraktiver werden und andererseits sollte den jungen Mitgliedern noch mehr Mitwirkungsmöglichkeiten geboten werden. Das Thema Frauen in der Wissenschaft ist mir ebenfalls sehr wichtig. Meine Kollegin und derzeit amtierende DGM-Präsidentin Prof. Martina Zimmermann hat das Thema in ihrer Amtszeit engagiert vorangetrieben. Ich möchte das fortsetzen und hier weitere Akzente setzen. Die Materialwissenschaften sind – zum Glück – längst keine Männerdomäne mehr. Sie bieten technikinteressierten Frauen hervorragende Zukunftsaussichten und die Chance, an der Lösung wirklich wichtiger Zukunftsfragen mitzuwirken.
Wo liegen momentan Schwerpunkte Ihrer eigenen materialwissenschaftlichen Forschung an der BAM?
Neben den Digitalisierungsthemen forsche ich mit meinem Team anwendungsorientiert zum mechanischen Verhalten von metallischen Hochtemperaturwerkstoffen. Wir starten gerade ein Projekt, bei dem es um einen modifizierten Stahl geht, der in wasserstoffbetriebenen Turbinen für die Energieerzeugung eingesetzt werden soll. Hier gilt es viele Werkstoffeigenschaften zu untersuchen, um die Turbinen fit für Wasserstoff zu machen.
Das Interview wurde am 26.10.2020 im Original auf der Homepage der BAM veröffentlicht.