"Bildung nutzt mehr als Wissen" - Zum Tod von Dr. Jean-Marie Welter

Am 03. Juli 2022 verstarb Jean-Marie Welter in München im Alter von 78 Jahren. Paris, München, Jülich, New York, Sérifontaine, Florenz, Osnabrück – das ist der Berufsweg des polyglotten weltgewandten Mannes, der sich gerne in fremden Kulturen bewegte und wechselnden Mentalitäten begegnete. Eingeweihte der europäischen Kupferindustrie verbinden mit einigen dieser Orte die Entwicklung eines Konzerns, der heutigen KME Gruppe, die 1995 aus der Fusion von Kabelmetal (D), Tréfimétaux (F) und Europa Metalli (I) hervorgegangen war. Jean-Marie Welter hat diese Entwicklung viele Jahre an entscheidender Stelle gestaltet, zuletzt als Direktor eines Netzes von Forschungseinrichtungen des Konzerns an mehreren Standorten in Europa.

Jean-Marie Welter im Wohnzimmer seiner Münchner Wohnung (Foto: P.P. Schepp)

Jean-Marie Welter während der Restaurierungsarbeiten am Dresdner Goldenen Reiter im August 2020 (Foto: E. Zschech)

In Alexandria als Sohn eines luxemburgischen Offiziers und einer italo-ägyptischen Mutter geboren ahnte der junge Jean-Marie sicher noch nichts von einer internationalen Industriekarriere. Den wesentlichen Teil seiner Jugend verbrachte er in Luxemburg. Seine Familie hatte sich, wie viele Luxemburger unter dem Eindruck der Weltkriege, oft zwischen den beiden Kulturen – der französischen und der deutschen – hin und hergerissen gefühlt. Und er selbst hatte diese doppelte Orientierung in seiner Ausbildung von Anfang an gespürt, wobei der französische Einfluss sicher überwog: Deutschsprachige Volksschule – französischsprachiges Gymnasium – Studium des Ingenieurwesens an der Ecole Polytechnique in Paris – Promotion an der Technischen Hochschule München.

Eben noch in die konservative Tradition der Ecole Polytechnique eingebunden erlebte er durch seinen Doktorvater Maier-Leibnitz an der TH München in der nuklearen Festkörperphysik der späten 60er Jahre eine offene, Industrie zugewandte akademische Welt. Seine Doktorarbeit behandelt den Einfluss der Neutronenstrahlung auf den Magnetwiderstand von Metallen bei niedrigen Temperaturen. Mit dieser „Grundausbildung“ begleitet er 1969 seinen Betreuer Helmut Wenzl ans damalige Kernforschungszentrum Jülich, wo er sich in den folgenden acht Jahren im Kristalllabor des Institutes für Festkörperphysik mit hochschmelzenden Metallen und Seltenen Erden beschäftigte. Für seine weitere Karriere setzt er große Hoffnungen in die Planung einer Spallationsquelle, die die Bundesregierung in Jülich etablieren wollte. Das ehrgeizige Vorhaben mit einem Volumen von 3 Mrd. DM scheiterte, wurde aber schließlich erst 2014 im Rahmen der europäischen Infrastrukturplanung an den Standort Lund in Schweden vergeben.

Nach dieser Enttäuschung beschließt Jean Marie Welter mit 40 Jahren den fachlichen Bruch und sucht Bestätigung in der Industrie: Beim größten französischen Hersteller von Kupferhalbzeugen Tréfimétaux SA war gerade die Stelle des Direktors eines Forschungszentrums mit 50 Mitarbeitern neu zu besetzen mit der Maßgabe, das Zentrum von Paris nach Sérifontaine an die Grenze zur Normandie zu verlegen. Welter nimmt an. Die glückliche Hand, die der Branchenfremde dabei beweist, führt ihn schon 1990 an die Spitze der gesamten Forschung und Entwicklung von Tréfimétaux. Das französische Kupferunternehmen hatte bereits 1987 mit dem italienischen Konkurrenten Europa Metalli Spa unter dem Dach der Società Metallurgica Italiana fusioniert, und nachdem die Società 1990 auch die deutsche Kabelmetall AG erworben hatte, wurde Welter 1992 Koordinator der Forschungsaktivitäten der drei Standorte in Sérifontaine (F), Fornaci di Barga (I) und Osnabrück (D) mit insgesamt 100 Mitarbeitern. Die Arbeitskulturen der drei Länder hätten unterschiedlicher nicht sein können, aber Jean-Marie Welter nimmt die große Herausforderung an, diese zu integrieren. 1998 schließlich wird er Forschungsdirektor des inzwischen weltweit größten Herstellers von Kupferhalbzeugen. Der Erfolg bleibt nicht aus, aber 2003 beginnen die wirtschaftlichen Verhältnisse für den Konzern schwieriger zu werden. Als 2005 sein „Stammsitz“ Sérifontaine geschlossen wird, kommt es zur Trennung.

Bis zu seinem Tod blieb Jean-Marie Welter der europäischen Kupferindustrie verbunden, z. B. als Mitglied des Technical Committees des International Wrought Copper Council IWCC. Auch beim European Copper Institute ECI und beim Deutschen Kupferinstitut DKI brachte er sich ein. Auf der Ebene der Fachgesellschaften engagierte sich Jean-Marie Welter schon seit seiner Zeit bei KME in der Société Française de Métallurgie et de Matériaux SF2M, deren Präsident er 2006 und 2007 war, und im Fachausschuss „Kupferwerkstoffe“ der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde.

Seine klassische breit gefächerte Ausbildung in Verbindung mit seinem umfassenden metallkundlichen Wissen führten Jean-Marie Welter bald auch dazu, Restauratoren bei der Erhaltung wertvoller Bronzestatuen zu beraten – Beispiele sind die Reiterdenkmale von Cosimo de Médici in Florenz und von August dem Starken in Dresden. Seine letzten Veröffentlichungen – zu den Skulpturen in der Wettiner Grablage im Freiberger Dom und zum Mozartbrunnen im Dresdner Stadtzentrum Dresdens - sind wertvolle Beiträge zur Kultur- und Technikgeschichte Sachsens. Dr. Welter war ein gefragter Gesprächspartner verschiedener Museen, unter anderem des exzellenten Metallkundelabors am Louvre. In einem reich ausgestatteten Bildband „Les Bronzes Français“, der von der Generalkonservatorin des Musée du Louvre herausgegeben wurde, erschien ein Beitrag von Jean-Marie Welter über die Legierungen, die im Lauf der Geschichte zum Gießen von Statuen verwendet wurden.

Die DGM trauert um einen guten Freund, einen herausragenden Werkstoffwissenschaftler und einen überzeugten Europäer, der große Verdienste bei der Erforschung und Anwendung von Kupferwerkstoffen hat und der die europäische Gemeinschaft der Werkstoffwissenschaftler entscheidend mitgeprägt hat.

Dr. Peter Paul Schepp, Frankfurt
Prof. Dr. Ehrenfried Zschech, Dresden

Der Text basiert zu Teilen auf einem Interview, das Peter Paul Schepp mit Jean Marie Welter anlässlich seines 65. Geburtstages geführt hat und das in DGM-Aktuell / AEM 1-2/2009 veröffentlicht wurde.

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