Im Interview mit Dr. Sarah Fischer: "Wissenschaft braucht Vielfalt."

Die Materialwissenschaftlerin Dr.-Ing. Sarah Fischer ist seit März 2020 Abteilungsleiterin am Fraunhofer IZFP in Saarbrücken mit Fokus auf Charakterisierungsmethoden für komplexe Materialsysteme. Im Interview spricht sie über ihren beruflichen Werdegang und was Wissenschaft leisten sollte.

Sarah, wenn du nicht Materialwissenschaftlerin wärst, dann…

…wäre ich Meeresbiologien oder Tierärztin. Ich war an einer zweisprachigen Schule. Ich fand Mathematik toll, das Rechnen und Tüfteln. Gleichzeitig mochte ich die Sprachen. Und ich wusste, ich möchte etwas erforschen, lernen und verstehen. Ich wollte an Orte reisen, wo es Tiere gibt, die es sonst nirgendwo gibt, um mich um deren Wohlbefinden zu kümmern und damit Gutes zu bewirken. 

Wie hast du dann den Weg in die Materialwissenschaft gefunden?

Das waren viele Zufälle. Schon in der Schule haben mich alle Naturwissenschaften interessiert. Ich wollte gern alle diese Fächer zusammen machen. Auf die Materialwissenschaft aufmerksam geworden bin ich durch eine Aktion des Saarlandes für Schülerinnen. Während dieses zweiwöchigen Schülercamps an der Universität stellten die verschiedenen Lehrstühle ihre Forschungen mit Vorträgen und Laborführungen vor. Strukturen aus der Natur abschauen, zum Beispiel Schmetterlingsflügel verstehen lernen und nachbilden – der Vortrag der Materialwissenschaft hatte mich gepackt. Hier hatte und finde ich auch noch immer all meine Interessen wieder.  Selbst die Sprachen, die mich als Schülerin interessierten, begleiten mich bis heute, wenn ich auf internationale Konferenzen und Tagungen fahre.

Neben den Naturwissenschaften und Sprachen, kommt auch der Wunsch „Gutes zu tun“ in deiner Arbeit wieder? 

Ja, ich habe mich sehr stark in Richtung anwendungsnahe Forschung entwickelt. Das Ziel der anwendungsorientierten Forschung und damit auch meines ist es, reale Probleme der Gesellschaft zu lösen.  In unserem neuesten Forschungsprojekt SmartPigHome am Fraunhofer IZFP in Saarbücken beispielsweise entwickeln wir ein Sensorsystem für die Nutztierhaltung. Unser Ziel ist es, die Stimmung bei Schweinen in der Stallhaltung zu erkennen. Klingt abwegig, hat aber eine weitgreifende Bedeutung für das Tierwohl. Schweine sind hochintelligente Tiere. Trotz Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zur Nutztierhaltung wird den Tieren langweilig in den Haltebuchten. Mit einem in den Ställen installierten Sensorsystem wollen wir herausfinden, wie und wann sich die Schweine unwohl fühlen, und ihre Verhaltensweise zu ändern.

Seit 12 Jahren bist du DGM-Mitglied und der Materialwissensschaft treu. Wer oder was hat dich beruflich während dieser Zeit geprägt?

Was mich auf meinem beruflichen und privaten Lebensweg geprägt hat, waren die Menschen. Sie haben Interesse geweckt, mich auf den Weg gebracht, den Rücken gestärkt, vielleicht auch manchmal aus der Komfortzone geschubst. Denke ich an das Schülercamp an der Universität war es einerseits der Vortrag über die Forschung der Materialwissenschaft aber auch die Begeisterung der Forschenden, die mich motiviert hatten. Das ist mir als Person und auch in meiner Position als Abteilungsleiterin selbst wichtig: Interesse wecken, begeistern, zum Mitdenken anregen. Die Weitergabe von Wissen und Erfahrung ist unglaublich wertvoll.

Welche Herangehensweise verfolgst du in deiner wissenschaftlichen Praxis, und was sind die Herausforderungen für die wissenschaftliche Community, insbesondere in der Materialwissenschaft?

Mir war sehr früh bewusst, dass für mich Wissenschaft nicht die Leistung von Einzelpersonen, sondern im Team entsteht. Kollaboratives Arbeiten, Synergien nutzen, Erfahrungs- und Informationsaustausch sind für mich grundlegend, um ein Projekt voranzubringen. Mit meinen persönlichen Werten möchte ich den beruflichen Rahmen gestalten, um jedem Einzelnen in meinem Team die Möglichkeit zu geben, sich als Person mit Ideen und Persönlichkeit in Projekte einzubringen.  


Das Wissenschaftssystem ist zu standardisiert, als dass es Freiraum für Kreativität und die Unterschiedlichkeit von Wissenschaftspersönlichkeiten lässt, die es aber braucht, um Wissenschaft voranzubringen. Es braucht Diversität auf allen Ebenen. Wir dürfen keine Forscherpersönlichkeiten ausschließen, nur weil sie neue Wege gehen und nicht in die aktuellen Schubladen der Wissenschaftsindikatoren passen.


Am 14. Februar 2023 hatte die DGM unter Leitung von Frau Prof. Dr. Zimmermann  einen "New Year's Brunch" für Frauen unter der der Überschrift "Female Role Models" veranstaltet. Frauen in der Wissenschaft - was ist deine Meinung dazu?

Vorbilder als Impulsgeber für die eigene berufliche Karriere braucht es. Ich würde hier weniger zwischen männlichen und weiblichen Rollenvorbildern trennen wollen. Wichtig ist das Fördern und der Erfahrungsaustauch über die wissenschaftliche Karriere. Wir reden viel zu wenig und nicht offen genug darüber, wie vielfältig Karrierewege sind und wie viele Möglichkeiten man hat, diese zu gestalten. Gefühlte "Misserfolge" können im Nachhinein eine glückliche Fügung bedeuten. Des Öfteren wurde mir gesagt, dass die Stationen meiner wissenschaftliche Karriere geplant erscheinen. Das stimmt teilweise. Es gab und gibt aber auch ganz viele tolle Gelegenheiten und Möglichkeiten zum persönlichen Wachstum, die sich aus Zufällen ergeben. Man kann wirklich unglaublich wachsen und dazulernen, wenn man Chancen ergreift, wenn sie sich ergeben. 

Vielen Dank, Sarah, für das offene und ehrliche Gespräch. 

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie regelmäßig Informationen zum Thema Materialwissenschaft und Werkstofftechnik!

Nach der Anmeldung erhalten Sie von uns eine E-Mail mit einem Bestätigungslink.
Erst mit Anklicken dieses Links ist Ihre Anmeldung abgeschlossen.

Vernetzen Sie sich mit uns